Letztens habe ich einen TED-Vortrag von Le Pesce geschaut der in mir unwillkürlich inneren Widerstand auslöste. Aha, da gibt es etwas über mich zu lernen. Worum geht es? Sie sprach über 5 Wege, wie man seine Träume definitiv nicht verwirklichen kann. Sie ist sehr erfolgreich, bekam einen begehrten Studienplatz am MIT, arbeitete für Microsoft und Google und hat zwei erfolgreiche Bücher geschrieben. Und nun will sie jungen Unternehmern helfen, ihren Weg zu machen. Chapeau!
Was habe ich also für ein Problem? Alles was sie in dem Vortrag sagt unterschreibe ich 100%-tig. Und doch…
In unserer Gesellschaft hat der Helden-Mythos (siehe unten) einen subtilen Wandel erfahren. Er lautet heute: „Verfolge deinen Traum, sei entschlossen, arbeite hart, schätze jeden Schritt auf deinem Weg, gib dich nicht mit weniger als dem Besten zufrieden, gehe deinen eigenen Weg…“ Das alles findet sich in Pesce’s Vortrag wieder und ist im Prinzip richtig und gut. Doch dann folgt eine Ableitung, die uns so selbstverständlich erscheint, dass wir sie leicht übersehen: “ …und Du wirst erfolgreich sein!“ Sie ist doch erfolgreich, oder etwa nicht? Sie hat die Schritte befolgt und ist erfolgreich. Da muss doch ein kausaler Zusammenhang bestehen. Keine Erwähnung von Glück oder von Zufall. Doch diese Geschichte hat einen gewaltigen Haken. Sie ist total unrealistisch und irreführend. Pesce hat mit 17 einen Platz beim MIT bekommen und begründet dies damit, dass sie ja bis zu ihrem 17.ten Lebensjahr hart an sich und ihrem Erfolg gearbeitet hat. Das ist mit Sicherheit so. Aber was ist mit den Millionen! von anderen jungen Menschen weltweit, die dies ebenfalls getan haben und keinen renommierten Startplatz im Karriererennen bekommen haben?
Geschichten werden retrospektiv rationalisiert, soll heissen, wir erklären uns hinterher, warum es so kommen musste, wie es gekommen ist. Wir suchen und finden die Gründe für den Erfolg ebenso, wie für den Misserfolg. Wir finden sie immer. Darin ist das menschliche Gehirn unschlagbar. Wie war das bei der jungen Brasilianerin Pesce? Wir wissen es nicht, daher hier eine (realistische!?) Spekulation: Vielleicht war ein einflussreicher Entscheider der MIT-Auswahlkommission einmal in eine junge Südamerikanerin verliebt, und ihre Geschichte triggerte etwas in ihm, ohne dass er sich dessen bewusst war. Vielleicht saß sie zufällig bei einem Besuch eines Microsoft-Directors neben ihm bei einem Dinner mit Nachwuchsstudenten und hat genau ein Thema angesprochen, dass ihn interessiert. Vielleicht ist ihr Erfolgsweg gepflastert mit glücklichen Zufällen? NEIN! Nicht VIELLEICHT, ganz sicher! Wenn Du nun denkst „Hier spricht der Neid aus ihm.“; ich kann es dir nicht verübeln.
Aber ich denke und sage nicht, es waren nur glückliche Zufälle. Sie hat mit Sicherheit hart gearbeitet, ist intelligent, sozial kompetent und charmant. Das Problem ist die kausale Verknüpfung (unbewusst und beiläufig) zwischen dem Handeln (befolge die „fünf, sieben oder zwölf goldenen Regeln) und dem Erfolg. Nicholas Taleb, der Erfolgsautor des Buchs „Der schwarze Schwan“ nennt das „narrative fallacy“, unseren problematischen Hang dazu alles erklären zu wollen. Genau genommen ist dieses Richtung der Ableitung harmlos. Ihre Umkehrung jedoch nicht! Was passiert denn mit den Millionen anderen „Glücksjägern“, die hart arbeiten, ausdauernd, intelligent, sozial kompetent und charmant sind und die logischerweise nicht alle eine solche Glückssträhne haben? (Es muss sogar eine Person geben, die bei allen Vorhaben eine Pechsträhne hat. Ich mache hier eine Schreibpause und gedenke ihrer…denn sie oder er ist die wahre Heldin, der wahre Held). Tragisch wird es, wenn es zu der Ableitung kommt: Ich bin nicht super-erfolgreich, also habe ich nicht hart genug gearbeitet, bin nicht intelligent, kompetent, sozial oder charmant genug. Dann ist die Depression vorprogrammiert und führte schon bei einigen Menschen bis hin zum Selbstmord.
Eine Frage, welche mich seit Jahrzehnten begleitet ist: „Wie kommt das Neue in die Welt?“. Ich habe immer noch nicht auch nur einen Ansatz für eine gute Antwort. Aber eines kann ich mit Sicherheit sagen: Das Neue bedingt das Scheitern. Alles Neue steht auf einem „Scheiter“-Haufen der vergeblichen Versuche, der fehlenden Finanzmittel, der verkannten Genies, der Ideen zur falschen Zeit oder am falschen Ort, der fehlenden Kontakte und der gestohlenen Kopien.
Doch was wäre der Heldenmythos ohne diese Niederlagen! Ich fordere daher eine Gedenktag für alle die gescheiterten Versuche der Menschen, welche vor Ideen sprühen, Künstler, Musiker, Unternehmer! Die machmal sogar um die Möglichkeit des Scheiterns – das Große Risiko – wussten, es meistens aus unverbesserlichem Optimismus und Enthusiasmus ignorierten und trotzdem losgegangen sind.
Ich wünsche dir heute, dass Du all das, wo Du fehl gegangen bist als das siehst, was es wirklich ist: Der Boden und der Dünger auf dem das Neue in die Welt kommt und gedeiht. Möge Joe mit dir sein 🙂
Liebe und Licht
P.S: und Du bist nicht allein – https://www.facebook.com/FUNCologneGermany
Über Mythen: Wir lieben Geschichten. Damit diese verrückte Welt für uns erklärbar wird, müssen wir das, was wir selbst erleben oder über andere erfahren in eine Geschichte packen. So funktioniert unser Gehirn. Wir schaffen Mythen. Das Wort Mythos wird heute häufig in Zusammenhang mit unwahren Geschichten gebraucht, aber die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Mythos deutet auf eine universale Geschichte, mit der wir unser menschliches Dasein, unsere Eigenart, unser menschliches Wesen beschreiben. (Im weiteren Sinne beschreibt ein Mythos das Wesentliche eines Phänomens, ganz gleich, ob es sich um etwas natürliches oder abstraktes, oder etwas göttliches handelt). Einer der universalsten Mythen ist der Heldenmythos: Der Held ist zu Beginn ein einfacher Mensch, doch er wird vor eine große Aufgabe gestellt. Zu Beginn ist er voller Enthusiasmus und Entschlossenheit, doch im Laufe der Geschichte wird sein Mut, seine Ausdauer und sein Mitgefühl auf eine harte Probe gestellt. Er gerät an seine Grenzen, das Glück wendet sich von ihm ab (scheinbar), er ist alleine, verzweifelt, will aufgeben. Und dann kommt dieser Moment, in dem er dennoch nicht aufgibt, einfach weitermacht. Es ist dieser Moment, der ihn zum Helden macht. Und siehe da, wie durch ein Wunder scheinen die Götter sich nun auf seine Seite zu schlagen und er vollbringt das scheinbar Unmögliche. Der Heldenmythos wurde intensiv von dem Philosophen Joe Campbell untersucht, und Du kannst den Heldenmythos in fast jedem Hollywood-Film wiederfinden.